Bitcoin Anonymität: Stimmt die Behauptung, dass man mit Bitcoin völlig anonym unterwegs ist? Wir rollen hier die Geschichte eines Krimis auf, um das Gegenteil zu zeigen.
Eine wachsende Zahl an Online-Händlern nimmt Bitcoin als Zahlungsmittel entgegen. Eine der vielzitierten Versprechen der Kryptowährung ist die Anonymität. Zwar ist eine Überweisung mit Bitcoin öffentlich einsehbar, aber sie ist nur mit einer Kontonummer und nicht mit einer Person verbunden. Wenn die Welt davon spricht, dann fast ausschließlich von den Vorteilen von Drogendealern, Waffenhändlern und Anbietern von Kinderpornographie. Doch diese Anonymität kann auch einen positiven Nutzen haben. So ist es beispielsweise demokratiefördernden Initiativen in Russland verboten, Spendengeld aus dem Ausland entgegenzunehmen. Die russische Regierung stempelt solche Organisationen als Agenten des Auslands ab und bezichtigt sie – vorläufig nur verbal – des Landesverrats. Wo Bürgerrechte missachtet werden, ist Anonymität der einzige Schutz.
Doch eigentlich ist Bitcoin gar nicht anonym. Nerds nennen es pseudonym, vergleichbar damit, ein Buch unter falschem Namen zu schreiben. Man ist genau so lange anonym, wie man die Verbindung zwischen Kontonummer und Identität nicht herstellen kann. Das ist gar nicht mal so einfach. Wer seine Bitcoin in einer Online-Wechselstube kauft, hinterlässt einen Bank- oder Kreditkartenbeleg. Wenn man in einem Online-Shop mit Bitcoin einkauft, gibt man eine Lieferadresse an.
Bitcoin Anonymität: Pseudonym statt anonym
Über den Unterschied zwischen Anonym und Pseudonym kann sich Ross Ulbricht die nächsten Jahrzehnte im Gefängnis Gedanken machen. 2011 erstellt er unter dem Pseudonym Dread Pirate Roberts einen digitalen Marktplatz namens Silk Road. Dort kann der hochgeschätzte Kunde alles zwischen Heroin und gefälschten Ausweisen bestellen. Die Grenze zieht der Pirat bei Kinderpornografie, Mordaufträgen und Waffen aller Art.
Er bietet sein Ebay für Drogen im Darknet an, einem Bereich des Internets, in dem man nur mittels der Verschleierungs-Software TOR hinein kann. Erste Sicherheitsmaßnahme, der Eingang – Check! Bezahlt werden kann nur in Bitcoin. Ist anonym – Check! Trotz dieser Anonymität wird durch Produktrezensionen Vertrauen zwischen Käufern und Verkäufern aufgebaut. So wird die Droge MDMA (Ecstasy) besonders populär, denn sie ist selten in purem Zustand zu finden und Verunreinigungen können töten. Jeder gute Anbieter von MDMA hat im Durchschnitt 29 Bewertungen verzeichnet.
Schon 2013 wird klar, dass Bitcoin nicht zwangsweise vor dem entdeckt werden schützt. Journalisten kaufen zu „Recherchezwecken“ Marihuana und bitten Sarah Meiklejohn, Computer-Wissenschaftlerin der Universität von Kalifornien in San Diego, ob sie die Transaktionen zurückverfolgen kann. Sie geben ihr die Bitcoin-Kontonummern, mit denen sie zuerst die Kryptowährung bei einer Wechselstube kaufen und dann in Hanfprodukte umtauschen. Eine Regierungsbehörde kann diese Kontonummern mittels richterlichen Beschluss von der Wechselstube erhalten.
Meikeljohn schnüffelt in den öffentlichen Transaktionsdaten herum und kann alle Transaktionen finden, die mit den Kontonummern jemals durchgeführt wurden.
In der Zwischenzeit ist das FBI dem Handels-Piraten auf der Spur. So sicher ist TOR dann doch nicht. Sie können den Server, auf dem Silk Road installiert ist nach Island zurückverfolgen. Sie hacken den Server, nisten sich drauf ein und warten was passiert.
Ulbricht wird später beim Prozess darauf pochen, dass das FBI mangels vorheriger Beweise mit dem Hack seine Privatsphäre verletzt habe und die Ergebnisse unrechtmäßig seien. Die Richterin weist den Einspruch zurück, was Privacy-Aktivisten auf den Plan ruft. Sie veröffentlichen die Wohnadresse der Richterin und bedrohen sie im Darknet. Damit wollen sie zeigen, was durch Verletzung der Privatsphäre passieren kann.
Die Richterin hingegen erlässt eine Anordnung an das Magazin Reason, die Daten jener User herauszugeben, die sie in Reasons Forum beschimpft hatten. Der Kampf um die Privatsphäre wird persönlich und von allen Seiten erbittert geführt.
Darüber lässt sich fast vergessen, dass es bei Silk Road um einen illegalen Handelsplatz geht. Zwischen acht und 30 Millionen US-Dollar sind nachweislich dort umgesetzt worden. Nach dem isländischen Hack schleust das FBI einen Undercoveragent als Mitarbeiter bei Silk Road ein. Er arbeitet ohne direkten Kontakt und unter dem Pseudonym „cirrus“ bei der Plattform. Das FBI identifiziert einen 30jährigen Texaner namens Ross Ulbricht als Betreiber. Sie wollen ihn in flagranti erwischen. Scheinbar sitzt Ulbricht oft in einer öffentlichen Bibliothek und arbeitet dort wahrscheinlich an Silk Road.
Am 1. Oktober 2013 sitzt „cirrus“ vor der Bibliothek auf einer Parkbank und chattet mit Ulbricht. Er bittet den Texaner, sich kurz mal in das Verwaltungstool von Silk Road einzuloggen, um ein kleines Problem zu beheben. Wenige Minuten darauf tauchen ein weiblicher und ein männlicher Agent in Zivilkleidung in der Bibliothek auf und fangen lautstark einen Beziehungsstreit an.
Ulbricht erschreckt und blickt vom Laptop auf worauf hin der Agent den Samsung 700z schnell zu seiner Kollegin schiebt. Das Beweismaterial ist gesichert, sogar das Chatfenster zu „cirrus“ ist noch offen.
Doch ist Ulbricht tatsächlich Dread Pirate Roberts? Er behauptet, dass er Silk Road als soziales Experiment gestartet und es dann an jemand anderen, den Piraten weitergegeben habe. Die Indizien sind nur digitaler Natur und damit (im Gegensatz zu den Bitcoin-Transaktionen) leicht zu manipulieren. Zwei der beteiligten FBI Agenten bekennen sich nach dem Silk Road Prozess schuldig, Silk Road erpresst und bestohlen sowie Beweismittel gefälscht zu haben.
Bitcoin Anonymität mit doppeltem Boden
Die Silk Road-Geschichte ist voller doppelter Böden. Dennoch – und vielleicht auch unter dem Einfluss der Drohungen – wird Ulbricht schuldig gesprochen und von der Richterin zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt.
Wir nehmen die Geschichte als Beweis, dass selbst in einem Bitcoin-Universum es schwierig ist, langfristig unerkannt zu bleiben. Auch hier liefern sich Behörden und Hacker ein Wettrennen des Verschleierns und Aufdeckens.
Lesen Sie hierzu passend die Erfindung von Bitcoin
Bitcoin Anonymität Silk Road Quellen:
https://www.wired.com/2015/06/feds-want-id-web-trolls-threatened-silk-road-judge/
http://www.businessinsider.com/the-arrest-of-silk-road-mastermind-ross-ulbricht-2015-1?IR=T
http://splinternews.com/5-other-insane-things-a-corrupt-dea-agent-did-while-all-1793846777
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